Alte Geschichte
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Schwerpunktprogramm "Die hellenistische Polis als Lebensform" (abgeschlossen)

Die hellenistische Polis als Lebensform.

Urbane Strukturen und bürgerliche Identität zwischen Tradition und Wandel

Koordination: Prof. Dr. M. Zimmermann

Abgeschlossen am 30.04.2012.

Die Polis bildete seit archaischer Zeit die Grundlage griechischer Kultur. Polis wird hier verstanden als Gemeinschaft, die mittels politischer, sozialer und religiöser Ordnungssysteme ein Maximum an Selbstbestimmung, Interessenausgleich und innerer Stabilität anstrebt. Dies findet seinen Ausdruck in einer spezifischen Bürgeridentität und einem zugehörigen Stadtbild. Das 4. Jh. v.Chr., besonders aber die hellenistische Zeit wurden in der Forschung vielfach als Niedergang der in klassischer Zeit blühenden Polis verstanden, in dem sie im Kräftefeld der neuentstandenen hellenistischen Staatenwelt wesentliche Eigenheiten einbüßte und transformiert wurde. Vor allem Veränderungen in den Institutionen der Polis, aber auch der offensichtliche Wandel im öffentlichen Raum der Städte, der in neuartiger Weise ausgestaltet wurde, sind als Indikatoren dieses vermeintlichen Verfalls interpretiert worden.

Angesichts der Fülle neuer Polisgründungen und der immensen Ausbreitung griechischer Stadtkultur im Hellenismus ist die These vom „Niedergang“ der Polis bereits angezweifelt worden. Dabei wird vor allem auf die Stärke und Bedeutung zentraler politischer und kultureller Institutionen wie Rats- und Volksversammlung, Gymnasium und Theater sowie der damit zusammenhängenden baulichen und urbanistischen Veränderungen verwiesen. Der angestrebte Interessenausgleich, die Beteiligung der Bürger und ein darauf fußendes bürgerliches Selbstverständnis sind weiterhin die Basis, auf der sich Gemeinsamkeiten wie individuelle Eigenarten in Bürger- und Stadtbild der Poleis ungeachtet der monarchischen Strukturen der hellenistischen Staatenwelt entwickeln. Die Polis hat also selbst unter stark veränderten Rahmenbedingungen und selbst nach Verlust der Autonomie in den Königreichen als Form der Gemeinschaftsbildung nicht an Attraktivität verloren. Es ist daher für das Verständnis antiker Zivilisation von zentralem Interesse zu untersuchen, welche Anpassungsphänomene zum nachhaltigen Erfolg der Polis in dieser Zeit geführt haben.

Der neue Ansatz, der hier vertreten wird, fragt vor diesem Hintergrund nach dem gewandelten Funktionieren der Polis im Hellenismus. Die Komplexität und Vitalität der Polisgemeinschaft kann nur erfaßt werden, wenn die sozio-politischen Verhältnisse mit den urbanen Veränderungen gemeinsam in den Blick genommen und als voneinander abhängige Größen verstanden werden. Anstelle der bisher vorwiegenden statischen Bilder der hellenistischen Bürgergemeinden und ihrer städtischen Zentren soll ihre historische Entwicklung als dynamischer Prozeß verstanden werden, der immer wieder entsprechend der oben skizzierten Definition vom Ausgleich der Interessen und der Anpassung an veränderte äußere Rahmenbedingungen geprägt ist. Wie sich soziale Strukturen und Verhaltensweisen sowie kulturelle Vorstellungen und Wahrnehmungen veränderten, welchen Reflex dies in der Gestaltung politischer und sakraler Räume hinterließ und wie diese wiederum auf das soziokulturelle Gefüge zurückwirkten, soll in seiner Komplexität an geeigneten Beispielen erfaßt werden, welche die Möglichkeit bieten, die gegenseitige Abhängigkeit der Faktoren grundlegend neu und damit exemplarisch für weitere Untersuchungen zu verstehen.

Die verschiedenen Entwürfe von politischer Gemeinschaftsbildung und städtebaulicher Gestaltung lassen sich nur in einer engen Verknüpfung der unterschiedlichen Überlieferungen und Denkmäler begreifen, wie sie von den einzelnen Disziplinen der Altertumswissenschaften bearbeitet werden. Eine Serie von untereinander eng abgestimmten historischen und archäologischen Fallstudien kann daher zu einem neuen Verständnis jener Faktoren führen, die auf die hellenistische Polis einwirkten, und umgekehrt verdeutlichen, weshalb die Polis selbst ein prägender Faktor (z.B. bei der Ausrichtung königlicher Politik) war.

Die skizzierten Fragen sind nur durch eine enge Verzahnung von vorhandenen Forschungseinrichtungen zu bearbeiten. Deshalb sollen durch dieses Programm archäologische Projekte mit einer vergleichbaren Zielsetzung miteinander und mit historischer Forschung auf eine neuartige Weise vernetzt werden. Epigraphische Studien zu speziellen Inschriftengruppen und Themen, Grabungen, Bauforschungen an einzelnen Monumenten, Umlandsurveys und archäologische Feldforschungen in Unterzentren, numismatische Studien oder auch rechtswissenschaftliche Forschungen sollen zusammengeführt werden. Mittels einer Verbindung unterschiedlicher archäologischer wie historischer Methoden durch Netzwerke beteiligter Wissenschaftler ist die Einbeziehung möglichst vielfältiger Perspektiven zu gewährleisten, da nur auf diese Weise die Dynamik und Vielschichtigkeit in der Entwicklung der hellenistischen Polis in allen Facetten erfaßt werden kann.

Hierzu sind erschienen:

  • Audio CD "Die griechische Polis: Stadt und Bürgergemeinde" (Fachbereich Alte Geschichte) uni auditorium, 62 Min. [Audiobook] (Audio CD), Komplett Media 2008
  • A. Matthaei; M. Zimmermann (Hgg.), Stadtbilder im Hellenismus, Die hellenistische Polis als Lebensform 1, Berlin 2009.