Alte Geschichte
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Siedlungsgeschichte und Landschaftsrekonstruktion im nordwestlichen Nildelta (Ägypten)

In der antiken Mittelmeerwelt nimmt Ägypten eine herausragende Rolle ein, nicht zuletzt wegen der außerordentlich großen Zahl an erhaltenen Schriftquellen. Ihre schiere Masse verschleiert jedoch oft die Tatsache, dass aus den meisten Teilen des Landes keine schriftlichen Quellen erhalten sind. Papyri überdauern nur in einer trockenen Umgebung und damit nur in sehr spezifischen Gegenden: Im feuchten Nildelta, das über 50% des in der Antike besiedelten und bewirtschafteten Landes ausmacht, haben sich entsprechend keine Papyri erhalten, mit der Ausnahme kleinerer Mengen karbonisierter Exemplare. Die Erforschung der Geschichte dieser Regionen fußt daher zum Großteil auf archäologischer Arbeit.

Dieses Forschungsprojekt wurde von Stephan J. Seidlmayr und Robert Schiestl unter der Schirmherrschaft des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) Kairo und in Zusammenarbeit mit dem ägyptischen Antikendienst ins Leben gerufen. Es untersucht einen Teil des nordwestlichen Nildeltas. Möglich gemacht wurde das Projekt anfänglich durch die finanzielle Förderung der Fritz-Thyssen-Stiftung und die Unterstützung des DAI Kairo. Der nördliche Rand des Gebietes liegt etwa 30 km südlich der Mittelmeerküste und 15 km südlich des Südufers der Burullus Lagune. Bisher sind die tiefliegenden Randgebiete des nördlichen Deltas von Archäologen kaum besucht, geschweige denn wissenschaftlich erforscht worden. Erst in den letzten 20 Jahren hat sich dies langsam geändert, wobei dieser Survey die erste systematische Studie der Region darstellt.

 

1. Karte des Nildeltas. Das Gebiet des Surveys ist gelb umrandet.

Die Wiedergewinnung antiker Siedlungsgeschichte

Heutzutage wird das Nildelta intensiv landwirtschaftlich genutzt. Felder und Siedlung bedecken entsprechend jeden Quadratmeter verfügbaren Landes. Je weiter nördlich man in diesem Teil des Deltas reist, desto häufiger werden jedoch die Überreste antiker Siedlungshügel, sogenannter Tells oder Koms. Viele dieser Hügel sind sehr groß und obgleich diese Gegend heutzutage eher marginal erscheint, wird zunehmend deutlich, dass dieser Teil Ägyptens in der römischen und spätrömischen Zeit florierte (1. Jh. v. Chr. - 7. Jh. n. Chr.). Die ältere Siedlungsgeschichte der Region ist dennoch weiterhin sehr unklar. Wir wissen jedoch, dass in Buto (Tell el-Faracin, 31 11 43 N/30 44 32 E) im 4. Jahrtausend v. Chr. ein wichtiges urbanes Zentrum gegründet wurde (Abb. 2).

2. Die antike Stadt Buto (Tell el-Faracin). Eine römische Säule ragt aus dem Siedlungshügel hervor. Foto: Robert Schiestl.


Diese Stadt wird im Rahmen eines langfristig angelegten archäologischen Projekts des DAI Kairo erforscht. Der Ort hat eine lange, jedoch unterbrochene Siedlungsgeschichte: für einen Zeitraum von fast 1500 Jahren, zwischen dem Ende des Alten Reiches (ca. 2200 v. Chr.) und der Dritten Zwischenzeit (ca. 800 v. Chr.) scheint die Stätte verlassen gewesen zu sein. Nach ihrer Wiederbesiedelung blühte die Stadt bis in die spätrömische Zeit hinein (7. Jh. n. Chr.). Der Grund für die zwischenzeitliche Aufgabe der Stadt war vermutlich ökologischer Natur. Teile der Stadt wurden in dieser Zeit überflutet, entweder, weil sich ein Nilarm verlagert hatte, oder aufgrund ungewöhnlich hoher Nilschwemmen.

Diese Beobachtungen waren der Ausgangspunkt für die zentralen Forschungsfragen des Surveys: Wie stellt sich die Siedlungsgeschichte im Umland der Stadt dar? Und: Spiegeln die Siedlungsmuster der Region die Siedlungsgeschichte des Zentralortes?

In der dynamischen Landschaft des Deltas, wo sich Nilarme verlagern, alte verlanden und neue entstehen, kann die Entwicklung von Siedlungen nur richtig erfasst werden, wenn die antike Landschaft rekonstruiert wird. Dieser Teil der Untersuchung wird in Zusammenarbeit mit Geographen der Goethe Universität (Frankfurt a.M.) vorangetrieben, Jürgen Wunderlich und Andreas Ginau (Institut für Physische Geographie).

Unsere Methoden

Der Survey, der seit 2010 durchgeführt wird, hat viele archäologische Stätten erstmals dokumentiert und eine Vielzahl neuer Siedlungen identifiziert. Der Erhaltungszustand dieser Plätze reicht von freistehend und nicht-überbauten Stätten (Abb. 3) bis zu vollständig eingeebneten Fundplätzen (Abb. 4). Stätten letzterer Kategorie konnten nur mit Hilfe historischer Karten und Satellitenbilder genau lokalisiert werden. Bohrungen wurden durchgeführt, um die Siedlungsschichten und den natürlichen Untergrund der Stätten zu untersuchen (Abb. 5). Im Nildelta spielt die Wahl des Siedlungsplatzes eine entscheidende Rolle, da aufgrund der jährlich stattfindenden Nilflut nur auf erhöhtem Grund oberhalb der Hochwasserlinie gebaut werden konnte. Viele Siedlungen sind heute mit modernen Dörfern und Friedhöfen überbaut (Abb. 6) und können daher nur mit Bohrungen erfasst werden. Antike Siedlungshügel, die heute nicht überbaut sind, können dagegen intensiver untersucht werden.

3. Der antike Siedlungshügel von Kom el-Gir. Der Tell überragt die umliegenden Felder am höchsten Punkt um 7,5 m. Die Oberfläche ist mit Keramik gespickt, größtenteils aus der römischen und spätrömischen Zeit. Foto: Robert Schiestl.

 

 

 

 

 

 

 



4. Kom el-Roka ist vollständig planiert und zu landwirtschaftlich genutzten Feldern umgewandelt worden. Auf Grundlage historischer Karten und Satellitenbilder konnte der Ort dennoch lokalisiert werden und Bohrungen bestätigten, dass es unter der Oberfläche in der Tat eine sehr dünne Siedlungsschicht gibt. Illustration: Robert Schiestl.

 

 

 

 

 

 

 

       

5. Links: Mit einem Handbohrer werden Bohrungen in Feldern nordöstlich von Buto durchgeführt. Foto: Robert Schiestl.

6. Rechts: Bohrung am Rand des heutigen Friedhofs von Nashart, südöstlich von Buto. Der Friedhof wurde auf einem Siedlungshügel der römischen und spätrömischen Zeit angelegt. Foto: Robert Schiestl.

 In Kom el-Gir, nordöstlich von Buto (Abb. 7) wurde eine magnetische Prospektion durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen den orthogonalen Plan der Siedlung, die von zwei großen Strukturen dominiert wird (Abb. 8). Ein großes, rechteckiges Geviert stellt vermutlich die Umfassungsmauer einer Tempelanlage der Ptolemäer- oder Römerzeit dar. Im Süden grenzt ein spätrömisches Lager an, das aus Lehmziegeln errichtet wurde und im Inneren etwa 150 x 90 m misst. Rechtwinkelige Türme kragen an den Ecken hervor und weitere Türme säumen die Seiten.

7. Magnetische Prospektion in Kom el-Gir. Foto: Robert Schiestl.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

8: Die Ergebnisse der magnetischen Prospektion in Kom el-Gir, projiziert auf ein Satellitenbild von Google Earth. Bisher sind etwa 13 ha magnetometrisch untersucht worden. Illustration: Robert Schiestl.

Die Datierung der Siedlungen

Die Datierung der Siedlungen fußt auf der gefundenen Keramik, sowohl den Oberflächenfunden (Abb. 9-11), als auch den in den Bohrkernen enthaltenen Fragmenten. Beispielhaft für die gefundenen Stücke stehen hier eine römische Amphore aus Nilton (Abb. 9), ein importierter römischer Mörser (Abb. 10) und ein römisches Terrakottavotiv eines Apis-Stiers (Abb. 11). An der Oberfläche wurden in Kom el-Gir außerdem zahlreiche Fragmente römischen und spätrömischen Glases gefunden (Abb. 12), die zurzeit von Daniela Rosenow (British Museum London) analysiert werden.

      

9. Links: Römerzeitliche Amphore aus Nilton, Kom el-Gir. Foto: Robert Schiestl.

10. Rechts: Römerzeitlicher Mörser, nach Ägypten importiert, Kom el-Gir. Foto: Robert Schiestl.

 

      

11. Links: Römische Terrakotte eines Apis-Stiers, mit einer Sonnenscheibe zwischen seinen Hörnern. Foto: Robert Schiestl.

12. Rechts: Fragmente römerzeitlichen und spätrömerzeitlichen Glases, Kom el-Gir. Foto: Robert Schiestl.

Abbildung 13 zeigt ein Fragment eines Kalksteinmodells eines Hauses aus ptolemäischer oder römischer Zeit. Es stellt das oberste Geschoss eines Turmhauses dar, eines schmalen, vielgeschossigen Gebäudes, das in Ägypten seit der Spätzeit (7. Jh. v. Chr.) häufig errichtet wurde. Die Grundrisse der in der magnetischen Prospektion erscheinenden Häuser lassen darauf schließen, dass viele solcher Gebäude in der antiken Siedlung in Kom el-Gir errichtet wurden. Eine lineare Verteilung von Siedlungen östlich von Buto legt nahe, dass dort in der Antike ein Wasserlauf verlief. Dieser Hypothese wird zurzeit mit weiteren Bohrungen nachgegangen, wobei ein Vibracoring Gerät zum Einsatz kommt (Abb. 14).

13: Oberer Teil eines Kalksteinmodells eines Hauses, Kom el-Gir, Ptolemäer- oder Römerzeit. Foto: Robert Schiestl.

 

14. Bohrung im Osten von Kom el-Gir zur Bestätigung der antiken Existenz eines heute verlandeten Nilarms.

Weitere Informationen finden sich auf der Website des Deutschen Archäologischen Instituts.

Forschungsperspektiven und Ausblick

Die weitere Forschung wird sich auf drei Bereiche konzentrieren:
1) Rekonstruktion der antiken Landschaft. Hierzu werden hauptsächlich Bohrungen und elektrische Widerstandsmessungen eingesetzt werden, die dazu dienen, den Verlauf eines verlandeten antiken Nilarms zu rekonstruieren. Dabei wird die Zusammenarbeit mit Jürgen Wunderlich und Andreas Ginau (Institut für Physische Geographie, Goethe Universität Frankfurt a.M.) fortgesetzt.
2) Erstellung eines digitalen Höhenmodells für das westliche Zentraldelta. Darauf aufbauend wird man die antiken Wasserläufe der Region in ihrem Gesamtumfang rekonstruieren können, wobei der Thermuthische Nilarm besonders im Vordergrund steht. Dieser Wasserlauf, der zuerst im 2. Jh. n. Chr. in der Geographia des Ptolemaios beschrieben wird, war im Mittelalter bereits verlandet und sein Verlauf ist bisher nicht identifiziert. Ptolemaios‘ Darstellung beschreibt, dass der Arm östlich von Buto und Kabasa, wobei letzterer Ort höchstwahrscheinlich mit Shabas esh-Shuhada zu identifizieren ist, und westlich von Sakha (Xois) verlief, das ein wenig südlich des heutigen Kafr esh-Shaikh liegt. Bereits das vorläufige digitale Modell des Geländeprofils hat es möglich gemacht, den genauen Verlauf dieses Arms südwestlich von Sakha nachzuzeichnen.
3) Aufnahme von archäologischen Ausgrabungen in Kom el-Gir. Diese sollen in einem ersten Schritt dazu dienen, die Ergebnisse der magnetischen Prospektion zu verifizieren.