Alte Geschichte
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Tartessos – Eine Spurensuche (Victoria Blázquez)

Dissertationsprojekt von Victoria Blázquez

Betreut durch Prof. Dr. Martin Zimmermann, PD Dr. Annalisa Calapà

Im Fokus meines Projektes steht eine ab der späten Bronzezeit im Südwesten der Iberischen Halbinsel angesiedelte Kultur, die im 6. Jh. v. Chr., dem sogenannten Jahrhundert der Krisen, abrupt aus der Geschichte verschwand. Ihr Kerngebiet lag nach neueren Erkenntnissen in einem durch die modernen Städten Sevilla, Cádiz und Huelva begrenzten geografischen Dreieck. Wie sich die protohistorischen Völker selbst nannten, ist bis dato unbekannt. Der Name Tartessos – die heute übliche Bezeichnung dieser Zivilisation − stammt von griechischen Schreibern aus dem 7. Jh. v. Chr., wobei schon in hellenistischer Zeit nicht klar war, worauf sie sich dabei bezogen: einen Fluss (Betis, heute: Guadalquivir), eine Stadt (Gadir, heute: Cádiz) oder aber auf ein Land und die Menschen, die es bewohnten. Und auch in unseren Tagen ist sich die Forschung weder über das Wesen von Tartessos noch über dessen Strukturen einig. Sicher ist, dass die fast unerschöpflichen Ressourcen der Region seit dem Ende des zweiten Jahrtausends v. Chr. ausgebeutet wurden und dass der Überfluss im 9. Jh. v. Chr. – mit hoher Wahrscheinlichkeit aber schon zwei Jahrhunderte früher − phönizische Seefahrer und Händler bis an die Atlantikküste des heutigen Andalusiens und Portugals lockte. Daraus ergaben sich Kontakte zwischen Indigenen und Levantinern, die sehr viele Fragen aufwerfen. Sowohl Begriffe wie „Akkulturation“ und „Orientalisierung“ gehören dazu als auch die aktuelle Debatte, ob mit den Ankömmlingen aus dem Osten ein jahrhundertlanger Prozess der Verschmelzung zweier Völker begann, eine Ethnogenese, die schließlich zur Entstehung einer Mischbevölkerung führte.

Ab den letzten Jahrzehnten des 19. Jhs. wurden die Genese und die Entwicklung der Tartessier akribisch untersucht, aber niemand hat sich je konsequent mit ihrer (scheinbar?) plötzlichen Auslöschung befasst. Es wird so gut wie nie hinterfragt, auch auf Fachtagungen nicht, warum Tartessos ab dem letzten Drittel des 6. Jhs. in den antiken Schriften kaum noch erwähnt wird. Die Lücke in der Geschichtsschreibung ist offensichtlich. In den letzten Jahrzehnten wurden einige Hypothesen hierüber aufgestellt, ohne jedoch zu einem belastbaren Ergebnis zu kommen.

Unter diesem Aspekt zielt der Ansatz meiner Arbeit darauf, in den früheren als auch in den späteren Quellen nach Spuren bzw. Hinweisen auf die allgemeine Entwicklung und somit auf die Gründe, die zu dem besagten Ende führen konnten, zu suchen. Eine weitere Arbeitsgrundlage liefern die archäologischen Berichte der letzten Jahrzehnte aus dem Kerngebiet sowie aus der sogenannten tartessischen Peripherie, vor allem aus dem Einzugsgebiet des Guadiana in der Extremadura. Die Datierung von Funden, aus der erkennbar wird, ob zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort tartessische Präsenz eindeutig nachgewiesen werden kann, ist dabei ein wichtiges Element. Das ist die wesentliche Aufgabe im Projekt: Mit Hilfe der Quellen (etwa Herodot, Avienus, Strabon) und der neueren Sekundärliteratur (u.a. Celestino, Koch, De Hoz) herausfinden, ob wirtschaftliche Krisen oder folgenschwere Ereignisse – möglicherweise geologische oder Umweltkatastrophen – tatsächlich eine ganze Zivilisation vernichten konnten. Ohne jedoch auszuschließen, dass ein sanfter Übergang in eine andere Kultur, nämlich die der Turdetaner, ihre Spuren so überlagerte, dass sie heute schwer zu identifizieren sind.

Das bisher ungeklärte Verschwinden der tartessischen Zivilisation wurde im Übrigen zum Nährboden für eine immer abstruser werdende Überlieferung über die Jahrtausende bis hin in unseren Tagen: Nicht wenige Menschen halten heute noch Tartessos und Atlantis für ein und dasselbe. Schon in archaischer Zeit war das Land jenseits der heutigen Straße von Gibraltar für die Griechen eine furchterregende, bedrohliche, mit Geheimnissen und Mythen
(Geryon und den Stieren, Erytheia, Herakles...) aufgeladene Gegend. Das trug sicher dazu bei, dass später im romanisierten Hispania und darüber hinaus in einer relativ kurzen Zeitspanne von zwei, drei Jahrhunderten das reale Tartessos leicht aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht und durch fantastische Narrative ersetzt werden konnte. Die protohistorische Kultur wurde so für Historiographen der frühen Kaiserzeit nur noch zu einem im Nebel uralter Zeiten verlorenen, mit sagenhaften Reichtümern und unglaubwürdig langlebigen Königen gesegneten Konstrukt.

Viel gravierender in Bezug auf die tartessische Forschung ist jedoch die Tatsache, dass selbst noch im 21. Jahrhundert nationalistische und sogar regionalistische Tendenzen deren Erkenntnisse nach eigenen Interessen zu interpretieren versuchen. Damit wird die Arbeit der Forschenden erschwert. Das heißt aber nicht, dass sich die Suche nach den tartessischen Spuren nicht lohnt.

Kontakt

V.Blazquez@t-online.de