Alte Geschichte
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Essen als Mittel von Distinktion und Kommunikation in der römischen Literatur und Gesellschaft (Habilitationsprojekt W. Tietz)

Das Thema dieser Habilitationsschrift sind die mit Hilfe von Nahrung transportierten und kommunizierten Bedeutungen und ihre Kontexte. Es werden der Zeichencharakter (oder auch: Symbolgehalt) von Essen und insbesondere seine Verwendung als Mittel der Kommunikation in der römischen Literatur von ca. 200 v.Chr. bis ca. 200 n.Chr. untersucht. Die römische Gesellschaft mit ihren italischen Wurzeln bietet für eine solche Untersuchung ein vielversprechendes Betätigungsfeld, da sich hier ab dem ausgehenden 3. Jh. v.Chr. Spannungen zwischen einer - selbst nicht mehr erlebten und teilweise nur gedachten – althergebrachten Sittenregel (mos maiorum) und den immer deutlicher sichtbar werdenden Akkulturationserscheinungen nachweisen lassen, die sich aus der militärischen, politischen und ökonomischen Expansion in den hellenistischen Osten ergaben. Den öffentlichen - und damit auch den literarischen - Diskurs bestimmt hierbei vor allem die problematische, doch weit verbreitete Akzeptanz griechischer Kulturelemente, ferner die Annahme orientalischer und - in geringerem Maße - auch ‘barbarischer’ Sitten. Im Laufe des 2. Jhs. n.Chr. heben sich in Italien die meisten dieser Gegensätze auf oder werden zu bloßen Stereotypen.

Die zu beantwortenden Fragen beziehen sich zunächst auf die verschiedenen Kontexte, in die gewisse Nahrungsmittel eingebunden sind. Gehören sie etwa einer speziellen Klasse an, einer Berufsgruppe oder einer geographischen Region und tragen deren Bedeutungen in sich? Gegensätze von Stadt und Land, Küste und Binnengebiet, Politiker und Privatmann, Kulturmensch und Barbar, Arm und Reich etc. können auf diese Weise beleuchtet werden.

Auch die näheren Umstände von Beschaffung und Konsum der einzelnen Nahrungsmittel werden in die Untersuchung einbezogen, denn häufig werden sie nicht nur thematisiert, sondern können auch zu einer Änderung des Zeichencharakters führen. Zum einen muß die Entstehung des Stolzes auf Selbsterzeugtes im Gegensatz zu Gekauftem erklärt werden, ebenso der Unterschied zwischen Einheimischem und Importem, zwischen Billigem und Teurem Essen etc., um den Symbolgehalt eines Nahrungsmittels vollständig zu ermessen. Zum anderen ist die Art des Verzehrs  zu betrachten (roh/gekocht, in Gemeinschaft/allein, genießerisch langsam/rasch verschlingend, als Einzelspeise oder in Kombination mit anderen Nahrungsmitteln etc.), was Aufschluß über das Ausmaß der Verwurzelung in gewissen Kontexten bzw. der Entfernung aus diesen gibt.

Die hauptsächlichen Quellen bieten weniger die Fachschriftsteller, die konkret etwa über die Verwendung von Speisen zur Befriedigung eines körperlichen Bedürfnisses oder über technische Aspekte der Zubereitung sprechen, als vielmehr Lyriker und Satiriker, deren in langen poetischen Prozessen gefeilte Texte einen besonders bewußten Umgang mit Zeichen erwarten lassen. Ein ‚Krautstrunk’ oder ein Pfau in den Komödien des Plautus, ein verschimmelter Käse in einem Epigramm des Martial oder ein kunstvoll geformter, mit lebenden Vögeln gefüllter Keiler in dem Roman Satryricon des Petron – stets kann vorausgesetzt werden, daß ein bewußter Umgang mit Speisen als Zeichen vorliegt. Grundsätzlich aber ist jedes literarische Werk, und sei es noch so nüchtern, mit entsprechender Thematik oder auch nur mit beiläufigen Erwähnungen von Nahrungsmitteln als Quelle geeignet.

Das Ziel der Arbeit ist nicht die Aufarbeitung des archäologischen Fundbestands, vor allem nicht, um Fragen nach dem tatsächlichen Ernährungsverhalten zu beantworten. Von geringer Bedeutung für die Fragestellung sind daher die zahlreich vorliegenden Wandmalereien, Mosaiken und Münzen, auf denen Nahrungsmittel dargestellt sind, sowie einschlägige Ausgrabungsbefunde, etwa Vorratsräume oder Toiletten. Bei der ersten Quellengruppe ist der Zugang zur Aussage oft durch den fehlenden Kontext der Bilder behindert, bei der zweiten ergeben sich häufig nur Aussagen, die durch den Zufall von Erhaltung oder archäologischer Forschungsgeschichte bedingt sind. Auf diese Zeugnisse wird allerdings zurückgegriffen, wenn eine Einordnung des literarischen Diskurses in die ‚Realität’ erfolgen kann, etwa wenn archäologisch nachweisbar ist, daß Feigen, anders als in einigen Quellen behauptet, schon lange vor dem 2. Jh. in Italien weit verbreitet waren.

Von elementarer Bedeutung für das Verständnis der römischen Essenssymbolik und des römischen Habitus (intro- wie extrovertiert) ist der in Rom seit ca. 200 v.Chr. virulente Diskurs über den mos maiorum, die Lebensweise der Vorfahren. Die Auseinandersetzung insbesondere mit den Kulturgütern der hellenistischen Welt, zu der sich die Römer im Zuge der Expansion des Römischen Reiches ab dem ausgehenden 3. Jh. v.Chr. gezwungen sahen, entwickelte ein verstärktes Bewußtsein für die eigene Identität. In allen Abschnitten der Habilitationsschrift wird dieser Diskurs eine wesentliche Rolle spielen, denn er umreißt in so gut allen denkbaren Kontexten wesentliche Teile des Zeichencharakters des Bedeutungsträgers Nahrung. Dies verwundert kaum, denn bei einem derart alltäglichen und weit verbreiteten Bedeutungsträger bilden sich schnell Traditionen, und innerhalb dieser Traditionen entstehen Erinnerungsmarker, Stützen des kulturellen Gedächtnisses, die den Rahmen darstellen, in dem Neuerungen bewertet werden.

Unter steter Berücksichtigung des Bezugs zum mos maiorum werden die folgenden Wirkungsfelder von Essen als Zeichen behandelt: Die elementaren Strukturen der römischen Gesellschaft in ihren sozialen Gliederungen, Fragen von Prestige und Gabentausch, persönliche Bindungen, Charakterisierung außeritalischer Völker und Regionen, der Gegensatz von Stadt und Land.

Den Schluß der Arbeit soll eine Zusammenfassung bilden, die zu einer Bewertung des Gesamtphänomens ‚Essen als Zeichen’ führt und ein Beitrag zum Verständnis der römischen Gesellschaft sein soll. Das für Rom charakteristische Spannungfeld alles Materiellen zwischen mos maiorum und den verschiedenen Akkulturationserscheinungen führte gerade bei so etwas Elementarem wie dem Essen zu ständig neuen Formen der Selbst- und Fremdbewertung und damit zur Überprüfung und Propagierung des eigenen Habitus. Am Ende der Arbeit soll ein  System von in der römischen Literatur kommunizierten Bedeutungen stehen, ohne welches eine sinnvolle Beschäftigung mit so essentiellen Aspekten der römischen Geschichte wie dem Gastmahl oder dem Gabentausch kaum möglich ist.

 

Kontakt

PD Dr. Werner Tietz
E-Mail schicken an tietz@lrz.uni-muenchen.de E-Mail