Alte Geschichte
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Die Rolle der Laien für die Überwachung und soziale Kontrolle in spätantiken Kirchengemeinden (M. Hahn)


Betreuer: Prof. Dr. Jens-Uwe Krause

Die Menschen der spätantiken Gesellschaften lebten in einem im Vergleich zur modernen westlichen Welt ungleich öffentlicheren Umfeld. In einer solchen Gesellschaft konnte das eigene Verhalten für einen Großteil der Menschen nicht vor dem Blick von Familienmitgliedern, Sklaven, Nachbarn oder schlichtweg den Passanten in den Gassen und Straßen der Stadtviertel verborgen bleiben. Öffentlichkeit musste in diesem Zusammenhang auch zu einem konstituierenden Element gesellschaftlicher Basisprozesse werden, so wurden etwa Hochzeiten oder Begräbnisse durch eine dezidierte Sichtbarmachung nach außen hin markiert. Auch der Blick auf deviantes Verhalten, also Taten, die den etablierten Regeln des Zusammenlebens einer Gesellschaft widersprachen, war ein wichtiges Phänomen dieser face-to-face-Gesellschaft. Bei der kaum ausgebauten staatlichen Strafverfolgung kam der Zeugenschaft von Nachbarn, Bekannten oder schlicht Passanten eine essentielle Bedeutung zu, ebenso die für vormoderne Gesellschaften geradezu typische Praxis des Rügebrauchs, also der aktiven Kontrolle von deviantem Verhalten durch die Mitglieder einer Gesellschaft ohne Aktivierung institutionalisierter Rechtsprechungsorgane. Die Abhängigkeit der Menschen von ihrem sozialen Umfeld war dabei weit größer als heute, sodass der Druck, der auf Abweichler von akzeptierten Sozialnormen ausgeübt werden konnte, ein wichtiger Faktor des Zusammenlebens gewesen sein dürfte.

Die Etablierung des Christentums veränderte den Kanon an normativen Prämissen für das Zusammenleben der Menschen in der Spätantike. Fraglich ist, inwiefern christliche Verhaltensregeln, die von den Theologen und umtriebigen Predigern der Zeit entwickelt und veröffentlicht wurden, im Zusammenleben der Menschen, besonders der einfachen Mitglieder der christlichen Gemeinden – der Laien – eine Rolle spielten. Sicher ist, dass sich in den christlichen Gemeinden eine für vormoderne Verhältnisse sehr ausgeprägte religiöse Hierarchie installierte, die über eine Ämterstruktur in die Gemeinden zu wirken versuchte.

Das Dissertationsprojekt soll einigen zentralen Fragen im Umfeld der sogenannten Christianisierung des römischen Reiches nachgehen: Welche Bedeutung hatte in der Welt der spätantiken Christen die Wachsamkeit auf die Einhaltung christlicher Verhaltensvorschriften und inwiefern übten besonders die einfachen Angehörigen christlicher Kongregationen soziale Kontrolle über ihre Mitchristen aus? Welche Rolle spielte die sich in diesem Zusammenhang entwickelnde christliche Gemeindehierarchie als Ankerpunkt innergemeindlicher sozialer Kontrolle oder als mögliche Sanktionsinstanz? Auf welche Art und Weise versuchten spätantike Prediger soziale Kontrollmechanismen in ihren Gemeinden zu etablieren und mit welchem Erfolg? Inwiefern achteten wiederum einfache Gemeindemitglieder auf Normenverstöße der Kleriker ihrer Gemeinden und zeigten diese etwa bei den zuständigen Bischöfen an? Die Arbeit soll dazu beitragen besser zu verstehen, wie sich die Verhaltensnormen der aufstrebenden Religion innerhalb der spätantiken Gesellschaften etablieren konnten und welche Auswirkungen dies auf das tägliche Miteinander der Menschen hatte.

Hauptuntersuchungszeitraum des Projekts ist dabei das vierte und frühe fünfte Jahrhundert, ein Zeitraum, der wegen der verhältnismäßig günstigen Quellenlage – Predigten, Briefe, Synodalbeschlüsse, Viten – die umfassendsten Ergebnisse verspricht. Zudem kann diese Zeit als Schwellenzeit der Durchsetzung des Christentums gesehen werden, von Peter Brown als „age of triumph“ bezeichnet. Die geographischen Schwerpunkte Nordafrika und Kleinasien/Syrien ergeben sich wiederum aus den verfügbaren Quellencorpora, bieten allerdings darüber hinaus die Möglichkeit einer Kontrastierung und eines Vergleichs von sozialen Kontrollphänomenen zwischen lateinischem Westen und griechischem/syrischsprachigem Osten.

Kontakt

Michael.Hahn@dainst.de