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Plautus und das Volk von Rom. Die Gesellschaft der Mittleren Republik im Spiegel ihrer Komödien (Dr. M. Hinsch)

Abstract

Das Projekt entwickelt einen neuen Ansatz für die Gesellschaftsgeschichte der mittleren Republik (ca. 280–133 v. Chr.). Dazu rückt es die Stücke der Palliata, der römischen Komödie im griechischen Gewand, in den Mittelpunkt. Die römische Komödie birgt Informationen zu allen Aspekten des sozialen Lebens Roms, zugleich konfrontiert sie die Interpretation mit besonderen methodischen Problemen. Das Projekt entwickelt in Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der philologischen Forschung methodische Vorschläge zur Ausschöpfung der Komödie als historische Quelle. Nimmt man die Komödie als Quelle ernst, zwingt das zum Überdenken etablierter Forschungsmeinungen zur Transformation der römischen Gesellschaft. Das 2. Jahrhundert v. Chr., so die These des Projekts, sah nicht die schleichende Korruption einer römischen kulturellen Identität, sondern deren Genese.

Projektvorstellung

Die mittlere Republik war die außenpolitisch dramatischste Epoche der Geschichte Roms. Die Expansion der mittelitalischen Stadt zur Weltmacht stieß die Transformation des gesamten Mittelmeerraums an. Folgerichtig hat die althistorische Forschung den politischen Ereignissen und Institutionen sowie der politischen Kultur des 3. und 2. Jhs. besondere Aufmerksamkeit geschenkt (Bleckmann 2002; Flaig 22004; Beck 2005; Heftner [1997] 22005; Hölkeskamp 2006; Eckstein 2008; Blösel 2015, 56–154; Walter 2017). Dieser Schwerpunkt entspricht demjenigen der antiken Geschichtsschreibung, die sich ebenfalls besonders für die Expansion Roms und ihre politischen Anführer und Institutionen interessierte (vgl. Eigler (u. a.) (Hg.) 2003). Die sozialen Transformationsprozesse dieser Zeit sind im Vergleich weniger systematisch erforscht worden. Viele moderne Darstellungen folgten indirekt den Dekadenznarrativen der antiken Historiographie, wenn sie Kommerzialisierung und Hellenisierung als Faktoren einer Erosion der gesellschaftlichen Wertordnung beschreiben (Toynbee 1965; Alföldy [1975] 42011, 36–84; Coarelli 2011, 237 f.; zu den antiken Dekadenznarrativen vgl. Biesinger 2016). Neuere Monographien zu Kommerzialisierung und Hellenisierung haben ein weniger düsteres und facettenreicheres Bild entworfen (Wallace-Hadrill 2008; Kay 2014; Maschek 2018). Bezeichnenderweise verlagern sie ihren Schwerpunkt allerdings ins 1. Jh., wo mit Ciceros Briefen und Reden und einem breiteren epigraphischen und archäologischen Befund mehr Quellen für die Sozial- und Kulturgeschichte fließen.

Es gibt allerdings auch für die mittlere Republik eine sprudelnde Quelle der Sozialgeschichte: Die Komödie. Die Stücke von Plautus (ca. 250–184) und Terenz (ca. 195/185–159/8) bilden das umfangreichste Quellenkorpus der römischen Republik vor Cicero. Mehr als andere Quellen erlauben sie Einblicke in das alltägliche Leben in der Stadt am Tiber. Die Ausschöpfung dieser Quelle beschränkt sich bisher allerdings auf Fallstudien (Konstan 1983; Moore 1998; Leigh 2004) oder Spezialbereiche (vgl. Hanson 1959; Andreau 1968; McCarthy 2000; Stewart 2012). Das gilt selbst für Amy Richlins Interpretation von Plautus’ Stücken als slave theater, dem bislang ambitioniertesten Versuch einer sozialgeschichtlichen Interpretation der Komödie (Richlin 2017; dazu Hinsch 2019). Die Zurückhaltung der Althistorikerinnen und Althistoriker kontrastiert mit der lebhaften philologischen Auseinandersetzung mit der Komödie (vgl. nur die neueren Companions: Augoustakis (u. a.) (Hg.) 2013; Perysinakis (u. a.) (Hg.) 2014; Dinter (Hg.) 2019; Franko / Dutsch (Hg.) 2020).

Die Zurückhaltung der Althistorie hat ihre Gründe. Jeder Versuch, die Komödie als historische Quelle heranzuziehen, sieht sich mit zwei Grundproblemen konfrontiert: Dem Verhältnis von Komik zur Realität und dem Verhältnis der römischen Stücke zu ihren griechischen Vorlagen. Das erste Problem ist das theoretisch interessantere, aber das zweite hat zu stärkeren Zweifeln an seiner Lösbarkeit geführt. Die Idee der „Exterritorialität der römischen Komödie“ (Mommsen) hat den Blick bestimmt. Die philologische Forschung erschloss seit dem 19. Jhs. in vielen Einzelanalysen das ‚Plautinische im Plautus‘ (Fraenkel 1922; vgl. Leo [1895] 21912). Diese Analysen mündeten allerdings in der deutschsprachigen Forschung in dem Urteil, die Palliata sei l’art pour l’art gewesen und nicht speculum vitae, weder für Athen noch für Rom (Lefèvre 2014; Stärk 2005).

Das Projekt hinterfragt die Notwendigkeit dieser Schlussfolgerung. Es argumentiert in entgegengesetzter Richtung, dass gerade die literaturwissenschaftlich-philologische Bestimmung des ‚Römischen‘ in der Palliata die Möglichkeit schafft, die Komödie ohne hermeneutische Zirkelschlüsse als historische Quelle auszuwerten. Die Palliata beruhte zwar auf hellenistischen Vorlagen, aber sie stand zugleich in einer italischen Stegreiftradition, deren stilistischen Eigenarten römische Einschübe als solche erkennbar machen. Um Lacher zu provozieren, mussten die Dichter der Palliata die alltäglichen Erwartungen ihres römischen Publikums scherzhaft enttäuschen. Insofern verweisen gerade karnevaleske Übertreibung und Inversion indirekt auf römische Diskurse und Praktiken. Das methodische Ziel der Arbeit ist nicht der Verzicht auf die bisher privilegierten historiographischen Quellen, sondern eine Umkehrung der Perspektive. Ausgehend von der Komödie als zeitgenössischer Selbstbeschreibung lassen sich retrospektive Nachrichten zur mittleren Republik auf neue Weise quellenkritisch einordnen und deuten.

Die Komödie war nicht bloß Spiegel, sondern zugleich Teil der römischen Gesellschaft. Das gilt in dem unmittelbaren Sinn, dass Bühnenaufführungen fester Bestandteil gemeinschaftsstiftender religiöser Feste waren, die in Rom viel Zeit und Raum beanspruchten (Dupont 1985, 19–65; Marshall 2006, 16–82). Theateraufführungen zu besuchen, war Teil des Römerseins. Es gilt weiter in dem Sinn, dass das Theater im 3. Jh. zum vielleicht wichtigsten Medium der gesellschaftlichen Selbstreflexion wurde. Der Beginn des Aufstieg Roms zur mediterranen Weltmacht nach dem Sieg über Karthago 241 v. Chr. markiert auch den Beginn einer veritablen Medienrevolution: Bauwerke, Bildmonumente, Inschriften, Münzgeld und Literatur – beginnend mit der Bühnendichtung im Jahr 240 – wurden in neuer Weise genutzt, um im städtischen Raum Roms Botschaften an die Zeitgenossen zu richten und für die Nachwelt zu bewahren (Hölscher 1978; Rüpke 2000; Carbone 2020).

Plautus und die anderen Dichter der Palliata experimentierten mit dem Theater als gebrochenen Spiegel gesellschaftlicher Normdiskurse. Indem sie das griechische Setting ihrer Vorlagen beibehielten und in schrillen Farben ins Groteske übersteigerten, erzielten sie einen Verfremdungseffekt (ostranenie im Sinne Viktor Schklowskis), der die auf der Bühne gezeigte Transgression und Inversion der moralischen Ordnung zum einen durch Ambiguisierung immunisierte. Zum anderen regten sie das Publikum durch die Konfrontation mit dem Bühnengriechenland als ‚eigenes Anderes‘ (Dupont 2005) dazu an, zu reflektieren, worin das ‚Eigene‘ eigentlich bestand. Denn die metatheatralische Durchbrechung der Bühnenillusion erinnerte das Publikum fortwährend daran, dass man nicht wirklich in Griechenland war. Die Komödien spiegeln also nicht bloß das römische Selbstverständnis zur Zeit der mittleren Republik, sie konstruierten diese normative kulturelle Identität überhaupt erst in Interaktion mit dem Publikum.

Die Funktion des Theaters als eine Art ‚Massenmedium‘ der antiken Stadtgesellschaft macht die Komödien zu einer einzigartigen Quelle für Moralvorstellungen jenseits der Oberschicht. An ihr lässt sich zeigen, dass der meist als ‚aristokratisch‘ bezeichnete Wertekanon durchaus nicht auf die politische Führungsschicht beschränkt war. Zugleich führte die Komödie mit ihrer Verhöhnung und Erniedrigung sozialen Fehlverhaltens der politischen Oberschicht beständig vor Augen, dass die Akzeptanz sozialer Überlegenheit immer von der Erfüllung der an sie gerichteten Erwartungen moralischer Integrität abhing. Und in der Figur des gewitzten Sklaven (servus callidus), der die Mächtigeren und Reicheren auszutricksen versteht, schuf sie eine Identifikationsfigur für jene große Mehrzahl der Bevölkerung, die sich tagtäglich in einer von steilen Hierarchien zerklüfteten Gesellschaft behaupten mussten.

In gesellschaftsgeschichtlicher Perspektive untersucht das Projekt vier Aspekte sozialen Wandels: die Kommerzialisierung des Wirtschaftslebens, die Hellenisierung der kulturellen Ausdrucksformen, die wechselseitigen Abhängigkeitsbeziehungen im Haus und das Verhältnis der politischen Stadtgesellschaft zu ihrer ‚globalisierten‘ Umwelt. Der Fokus liegt auf Spannungen und Konfliktpotentialen. Die Komödie ist dafür eine besonders gut geeignete Quelle, weil sie Widersprüche nicht einseitig normativ auflöste, sondern sie vor Augen führte und in den Figuren der Übersteigerung und Umkehrung zu Ende dachte (Segal [1968] 21987; Gruen 1990, 126–157; Braun 2000). Der Triumph von Söhnen über ihre Väter, Ehefrauen über ihre Männer und Sklaven über ihre Herren ist eine karnevaleske Umkehrung wirklicher Verhältnisse, aber zugleich beredtes Zeugnis dafür, dass die soziale Ordnung Roms kein statisches Gebilde war, sondern Ergebnis eines unablässigen Aushandlungsprozesses ungleicher Akteure.

Zitierte Literatur

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