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Rechtsnormen und Rechtspraktiken im kleinasiatisch-nordsyrischen Kulturraum von der Spätbronzezeit bis zum Beginn des Hellenismus (abgeschlossen)

Habilitationsprojekt von Birgit Christiansen

Erfolgreich abgeschlossen am 3.2.2017

Gegenstand des Projektes sind Rechtsnormen und Rechtspraktiken in unterschiedlichen Gesellschaften des kleinasiatischen und nordsyrischen Kulturraumes des 2. und 1. Jts. v. Chr. Der Fokus liegt auf der keilschriftlichen Überlieferung des hethitischen Reiches (16. Jh. bis Anfang des 12. Jh.) und den epichorischen Inschriften aus Lykien, die ins 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. datieren. Thematisch stehen rechtliche Verfahren zur Geltendmachung von Ansprüchen, die Sanktionierung rechtswidrigen Handelns sowie die zuständigen Institutionen im Zentrum. Das Projekt ist in drei Einzelstudien untergliedert.

1. Untersuchung zum Bestattungsrecht im Lykien der klassischen Zeit

Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die Frage, wie die rechtmäßige Nutzung der lykischen Grabmonumente über den Tod des Grabeigentümers hinaus geregelt wurde. Der Fokus liegt auf den Regelungen der rechtmäßigen Nutzung der Gräber nach dem Tod des Grabeigentümers und der Charakter und die Aufgaben der dafür zuständigen Institution.

Neben bereits publizierten Inschriften in lykischer und griechischer Sprache werden auch bislang unpublizierte Texte und der archäologische sowie bauhistorische Befund ausgewertet. Eingehend analysiert werden vor allem die in zahlreichen Inschriften bezeugten und vieldiskutierten sogenannten ada-Formeln, die die Zahlung bestimmter Geldbeträge festlegen, sowie die Formeln, die eine Zuwiderhandlung gegen die Verfügungen des Grabeigentümers verbieten und unter Strafe stellen.

Abb. 1: Fragment eines Felsgrabes in Xanthos mit einer lykischen Grabinschrift mit ada-Formel (N 341). Die ersten vier Zeilen der Inschrift sind eradiert, während die fünfte Zeile nahezu unversehrt erhalten ist. Die Buchstabenreste sind jedoch größtenteils mit bloßem Auge noch erkennbar, durch Fotografien und Abklatsche jedoch nur unzureichend dokumentierbar. Foto: Ludwig Fliesser, 13.9.2007.

 

 

 

 

 

Aus der Untersuchung ergibt sich, dass die Bestimmungen der ada-Formeln eine adäquate Nutzung der Grabkammern sowie einen korrekten Umgang mit den dort bestatteten Personen sicherstellen sollten. So sind die Grabmonumente, deren Inschriften entsprechende Formeln aufweisen, offenbar alle für Mehrfachbestattungen vorgesehen. Abgesehen von wenigen Ausnahmen legen die Inschriften den Kreis der Personen, die in dem Grab bestattet werden sollen, explizit fest, wobei meist die Ehefrau und die Kinder des Grabherrn als Begünstigte genannt werden. Mit der korrekten Zuweisung der Berechtigten zu einem Platz in der Grabkammer sowie vermutlich auch der Durchführung der Bestattung wurde eine Institution beauftragt, die in den Inschriften mit dem lykischen Wort miñti und den griechischen Lehnwörtern mindis und menditai bezeichnet wird. Diese Institution verpflichtete sich mittels einer vertraglichen und durch eine Eidesleistung bekräftigte Vereinbarung zur Übernahme dieser Aufgaben, wobei sie als Gegenleistung einen bestimmten Geldbetrag erhielt, dessen Höhe in den Inschriften in der Einheit ada oder Schekel festgehalten wurde. Insbesondere Aussagen in den Sanktionsformeln legen nahe, dass es sich bei den Angehörigen der mindis um Kultfunktionäre bzw. Priester der örtlichen Heiligtümer handelt. Neben der rechtmäßigen Zuweisung der Bestattungsplätze im Grab und möglicherweise der Durchführung von Bestattungsriten oblag bestimmten Mitgliedern der mindis offenbar auch die Bestrafung von Verstößen gegen die Verfügungen des Grabherrn.

Abb. 2: Autopsie und Folienumzeichnung der Inschrift N 341. Der teilweise eradierte Text der Zeilen 1–4 konnte fast vollständig rekonstruiert werden (siehe Abb. 3). Foto: Diether Schürr, 20.7.2009.

 

Abb. 3: Umzeichnung der Inschrift N 341 (Birgit Christiansen, 20.7.2009).

 

Abb. 4: Transliteration und Übersetzung der Inschrift N 341 (Birgit Christiansen).

 

Abb. 5: Fassade des Felsgrabes mit der Inschrift TL 39 (Foto: Regina Hügli, 21.9.2003).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abb. 6: Grabkammer eines Felsgrabes von Xanthos mit der Inschrift TL 39 (Foto: Regina Hügli, 21.9.2003)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Publikation

Grave Matters. Legal Provisions for a Proper Final Rest in Classical Lycia, in: Martin Zimmermann (Hrsg.): Das Xanthostal in archaisch-klassischer Zeit. Eine archäologisch-historische Bestandsaufnahme (Die hellenistische Polis als Lebensform 7), Göttingen 2020: 262–272.

2. Sanktionen und Sanktionsprinzipien im Hethitischen Recht

Gegenstand der zweiten Studie sind die juristischen Strafprinzipien der Hethiter in ihrer historischen Entwicklung. Ausgewertet wurden dabei vor allem die kasuistischen Rechtssätze der Hethitischen Gesetze, von denen uns verschiedene Versionen aus unterschiedlichen Epochen der hethitischen Geschichte überliefert sind. Im Laufe der Zeit kam es in einigen Punkten zu tiefgreifenden Änderungen der Strafbestimmungen, wobei bereits die althethitische Version auf ein früheres nicht mehr geltendes Recht Bezug nimmt. Im Zentrum der Arbeit steht die Frage, für welche Vergehen welche Strafen in welcher Höhe verhängt werden und inwiefern sich daran bestimmte Prinzipien und Wertesysteme ablesen lassen.

Abweichend von der mehrheitlichen Forschungsmeinung konnte dabei gezeigt werden, dass viele Sätze der Hethitischen Gesetze auf dem Talionsprinzip beruhen.

Zudem wurde dargelegt, dass die Höhe der Buße, die für Menschentötung und bestimmte Körperverletzungsdelikte festgesetzt wird, davon abhängig gemacht wird, ob die Tat mutwillig ausgeführt wurde, was durch den hethitischen Terminus sullanaz zum Ausdruck gebracht wird, oder im Affekt geschah, was mit der Wendung „seine/die Hand sündigt“ bezeichnet wird. In der bisherigen Forschung wurde die Wendung sullanaz hingegen zumeist mit „im Streit“ bzw. „aufgrund eines Streites“ übersetzt, wobei von einer Bezeichnung eines vorsätzlichen, jedoch ungeplanten Vergehens angenommen wurde, während die Tat „durch das Sündigen der Hand“ als fahrlässiges Handeln definiert wurde.

Dementsprechend wurde in der Studie die gängige Forschungsmeinung widerlegt, wonach die Hethitischen Gesetze abgesehen von dem Spezialfall des Raubmordes eines Kaufmannes geplante Tötungen nicht berücksichtigen.

Publikation

"Früher Bienenstiche. Jetzt aber gibt er 6 Schekel Silber": Sanktionen und Sanktionsprinzipien in der Hethitischen Rechtssammlung, in: Zeitschrift für Altorientalische und Biblische Rechtsgeschichte 21, 2015, 31–101.

3. Individual- und Kollektivhaftung im altanatolisch-nordsyrischen Kulturraum

Den Ausgangspunkt der Studie stellt die in der Forschung aufgestellte These dar, wonach die Kollektivhaftung im hethitischen Recht weitaus häufiger als in anderen Kulturen des Alten Orients verbreitet war, wobei sie aber im Laufe der Zeit immer stärker von der Individualhaftung zurückgedrängt wurde. Dementsprechend ließe sich an den hethitischen Quellen ein Prozess nachvollziehen, wie er in der Rechtsgeschichte als allgemeine Entwicklung postuliert wird.

In den bisherigen Untersuchungen wurde allerding nicht ausreichend zwischen den verschiedenen Quellen differenziert. Außerdem wurde ungenügend zwischen göttlichen und menschlichen Strafen und den Arten der Vergehen unterschieden, für die entweder eine Kollektiv- oder Individualstrafe verfügt wird. Auf der Grundlage einer entsprechenden Differenzierung lässt sich daher zeigen, dass auch im hethitischen Strafrecht das Prinzip gilt, dass allein die Personen, die die Tat verschuldet haben, haftbar gemacht werden. Eine Ausnahme stellen jedoch Vergehen dar, die sich gegen den König, die königliche Familie und/oder die Götter richten. Neben Individualstrafen werden für diese Delikte auch häufiger Kollektivstrafen angedroht oder verhängt. In die Untersuchung werden vergleichend auch die Quellen der späthethitischen Nachfolgestaaten aus dem 12. bis 8. Jh. v. Chr. sowie die lykische Überlieferung einbezogen.

Publikation

Individual-, Kollektiv- und Noxalhaftung in der altanatolischen Rechtsüberlieferung des 2. und 1. Jts. v. Chr., in: Zeitschrift für altorientalische und biblische Rechtsgeschichte 24, 2018, 57–124.